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Der Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl aus dem Jahr 2022. Das IT-Unternehmen beschäftigt 2.628 Mitarbeiter in fünf Betrieben. Die Arbeitsorganisation des Unternehmens ist durch eine Matrix-Struktur geprägt, in der Arbeitnehmer aus verschiedenen Organisationseinheiten in Teams zusammenarbeiten und von sogenannten Matrix-Führungskräften geleitet werden. Der Wahlvorstand beschloss, 128 Führungskräfte im Betrieb „Süd“ mitwählen zu lassen, obwohl sie eigentlich anderen Betrieben zugeordnet waren. Er begründete dies damit, dass diese Führungskräfte auch Mitarbeiter im Betrieb „Süd“ führen und dadurch dort eingegliedert sind. Die Arbeitgeberin focht deswegen die Wahl an.

 

Die Entscheidung

Anders noch als das ArbG Stuttgart (Beschluss vom 25.10.2023 – 14 BV 112/22) und das LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 13.6.2024 – 3 TaBV 1/24) bestätigte das BAG den Wahl-vorstand.

Nach § 7 Satz 1 BetrVG sind alle Arbeitnehmer des Betriebs wahlberechtigt, die das 16. Lebens-jahr vollendet haben. Die Wahlberechtigung knüpft nur an die Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum Betrieb an, welche durch die Eingliederung in die Betriebsorganisation begründet wird. Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer bereits in einem Betrieb eingegliedert und damit in diesem wahlberechtigt ist, steht seiner Wahlberechtigung in einem weiteren Betrieb nicht entgegen. Es ist möglich und in Matrix-Strukturen der Normalfall, in mehreren Betrieben wahlberechtigt zu sein.

 

Unsere Bewertung

Die Entscheidung liegt auf der Linie der ständigen Rechtsprechung des BAG. Einige LAGs mögen dem noch nicht folgen und entscheiden bewusst abweichend.

Das BAG hatte zu Matrix-Strukturen u.a. bereits entschieden (Beschluss vom 12.6.2019 – 1 ABR 5/18), dass Führungskräfte, die Mitarbeiter in anderen Betrieben führen, dort „eingestellt“ werden im Sinne des § 99 BetrVG. Diese Linie zeichnet das BAG nun konsequent auch für § 7 BetrVG fort.

Waren somit „Mehrfach-Einstellungen“ seit Jahren alltägliche Praxis, ist nunmehr klargestellt, dass dasselbe auch für „Mehrfach-Wahlberechtigungen“ gilt.

Das BetrVG kennt keinen Exklusivitätsgrundsatz, nach welchem ein Arbeitnehmer so nur einem Betrieb zugehörig sein könne. Für jeden einzelnen Arbeitnehmer muss sich der Wahlvorstand – und im Streitfall das Gericht – sehr genau anschauen, welche Tätigkeiten dieser innerhalb welcher Betriebsstruktur erbracht hat. Hier kommt es vor allem auf die inneren disziplinarischen und fachlichen Weisungsketten an. In moderneren Unternehmen werden diese zumeist nur noch „Berichtslinien“ genannt.  

In Matrix-Strukturen in Unternehmen und Konzernen nehmen diese Berichtslinien oft komplexe, mitunter gar verworrene Formen an. Im Zweifel führt dies nicht zu einer Verkürzung von Mitbestimmungsrechten, sondern zu einer Erweiterung. Hier bleiben die Entscheidungsgründe abzuwarten, ob das BAG eine Art „Mindestschwelle“ an Einbindung verlangt.

 

Ausblick

Unternehmen und Konzerne haben sich an betriebsverfassungsrechtliche Mehrfach-Eingliederungen überwiegend gewöhnt und dafür pragmatische Lösungen gefunden. Oft werden diese auf der Ebene der Ausübung von Mitbestimmungsrechten oder der betrieblichen Strukturen (§ 3 BetrVG) gefunden.

Lassen sich in einer Matrix-Struktur keine klaren Grenzen in der Organisation und den internen Weisungsketten ziehen, führt dies im Zweifel dazu, dass Mitarbeiter in allen Betrieben, in denen sie Aufgaben wahrnehmen, eingegliedert und damit wählbar sind. Regelmäßig ist deswegen in Matrixstrukturen die nominelle Anzahl an aktiv Wahlberechtigten deutlich höher als die der realen Personen.

Zum passiven Mehrfach-Wahlrecht nach § 8 BetrVG hat sich das BAG nicht äußern müssen, doch ist auch dessen Bejahung denknotwendig der nächste Schritt.

Diese Entscheidung unterstreicht zusätzlich den erheblichen gesetzgeberischen Vertrauensvorschuss gegenüber Wahlvorständen.

Im streitgegenständlichen Fall hatte der Wahlvorstand am 23. Juni 2022 entschieden, die 128 streitigen Führungskräfte im Betrieb „Süd“ mitwählen zu lassen. Mit dieser Anzahl an Wahlberechtigten wurde die Größe des 11-köpfigen Betriebsrates bestimmt.

In dieser Größe arbeitet der Betriebsrat bis heute. Ungeachtet der Wahlanfechtung durch die Arbeitgeberin, des Unterliegens vor dem ArbG Stuttgart und dem LAG, blieb der 11-köpfige Betriebsrat rechtmäßig im Amt.

„Gewonnen“ hat der Betriebsrat dieses Verfahren noch nicht vollständig. Denn das BAG hat das Verfahren nicht entschieden, sondern mit seiner Rechtsauffassung lediglich an das LAG Baden-Württemberg zurückverwiesen. Das LAG muss zu der Eingliederung der 128 streitigen Führungskräfte noch erheblichen Sachverhalt aufklären. Dies hielt das LAG für unbedeutend. Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass das LAG vor der Betriebsratswahl im nächsten Jahr hierzu eine Entscheidung treffen wird. Auch dieses Anfechtungsverfahren der Arbeitgeberin, wie die meisten, wird sich somit durch Zeitablauf erledigen.

 

Dr. Daniel Wall
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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