I. Tatbestand
Die Arbeitgeberin, ein Dienstleister für Recycling, Service und Wasser, entschloss sich im ersten Quartal 2023, eine neue Stelle als kaufmännischer Mitarbeiter im Back-Office zu schaffen. Herr S., bisher Außendienstmitarbeiter, sollte diese Position übernehmen. Mit dem Wechsel ins Back-Office entfiele für Herrn S. die Möglichkeit, Neukunden zu akquirieren und hierfür Provisionen zu verdienen. Auch wäre Herr S. nicht mehr zum Bezug eines Dienstwagens berechtigt.
Der Betriebsrat wurde am 16. März 2023 über die geplante Versetzung informiert und um Zustimmung gebeten. Zwar informierte die Arbeitgeberin über die Person des betroffenen Arbeitnehmers, die neue Position und die damit verbundenen Aufgaben. Auch die Vergütung gab sie korrekt an. Allerdings informierte sie den Betriebsrat nicht über die Auswirkungen auf die Provisionsmöglichkeiten und den Entzug des Dienstwagens für Herrn S.
Der Betriebsrat widersprach der Versetzung mit der Begründung, die Arbeitsplatzbeschreibung sei unvollständig und es fehle an Gefährdungsbeurteilungen. Die Unterrichtung sei insbesondere hinsichtlich der Provisionsmöglichkeiten und der Kompensation für den Entzug der privaten Nutzungsmöglichkeit des Dienstwagens unvollständig. Die Arbeitgeberin beantragte daraufhin beim Arbeitsgericht Hannover die Feststellung, dass die Zustimmung des Betriebsrates als erteilt gelte, hilfsweise die Zustimmung zu ersetzen. Sie ergänzte die vom Betriebsrat als fehlend gerügten Information im Laufe des Zustimmungsersetzungsverfahrens, woraufhin der Betriebsrat erneut seine Zustimmung verweigerte.
II. Die Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht entschied nun in II. Instanz: Die Unterrichtung des Betriebsrates war unvollständig.
Zwar hatte die Arbeitgeberin über die Person des betroffenen Arbeitnehmers, die neue Position und die damit verbundenen Aufgaben unterrichtet, auch die Vergütung hatte sie korrekt angegeben. Allerdings hatte sie den Betriebsrat nicht ausreichend über die Auswirkungen der Versetzung auf die Provisionsmöglichkeiten von Herrn S. informiert. Der Betriebsrat muss über solche Änderungen informiert werden, entschied das Gericht, weil sie einen Nachteil im Sinne des § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG darstellen können. Auch die fehlende Nachlieferung der Informationen im Laufe des Zustimmungsersetzungsverfahrens half der Arbeitgeberin nicht: Sie hielt ausdrücklich an ihrer ursprünglichen Versetzung fest. Damit ist ein „Heilen“ von Fehlern unmöglich.
III. Praktische Bedeutung für Betriebsräte und Arbeitnehmer
1. Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer umfassenden Unterrichtung des Betriebsrates bei personellen Maßnahmen. Betriebsräte müssen über alle wesentlichen Änderungen informiert werden, die die Arbeitsbedingungen der betroffenen Arbeitnehmer betreffen. Dies umfasst auch die Auswirkungen der Versetzung und damit auch Provisionsmöglichkeiten. Dies gilt ausdrücklich nicht nur für die Eingruppierung, sondern – auch – für die Versetzung. Nur ein auch über die Auswirkungen umfassend unterrichteter Betriebsrat kann sich ein Gesamtbild über die Maßnahme, nicht zuletzt über mögliche Widerspruchsgründe machen.
2. Der Arbeitgeber kann eine unvollständige Unterrichtung nicht heilen. Dies ist ihm nur möglich, wenn er die ursprüngliche personelle Einzelmaßnahme beendet und eine erneute initiiert.
3. Für den einzelnen Arbeitnehmer birgt diese Entscheidung ebenfalls sehr erfreuliche Nachrichten. Da ein Verstoß gegen § 99 BetrVG auch die individualvertragliche Unwirksamkeit der Versetzung zeitigt, kann der Arbeitnehmer als Schadensersatzanspruch den entgangenen Provisionsanspruch verlangen. Die konkrete Höhe wird der Arbeitnehmer individualvertraglich einklagen müssen.
4. Auf bekannter Linie liegt: Ein Verstoß der Arbeitgeberin gegen ihre Verpflichtung, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, begründet noch keinen Zustimmungsverweigerungsgrund im Sinne des § 99 Abs. 2 Ziffer 1 BetrVG.
5. Als Empfehlung für die Praxis folgt aus diesem Urteil:
- Betriebsräte sollten, bevor sich sie auf die oft ernüchternd schmallippigen Widerspruchsgründe aus § 99 Abs. 2 BetrVG stürzen, sorgfältig die Vollständigkeit der Unterrichtung nach Abs. 1 prüfen.
- Provisionen sollten per Betriebsvereinbarung geregelt werden, dann hat der Betriebsrat bei Verstößen § 99 Abs. 1 Ziffer 1 BetrVG unmittelbar an seiner Seite und muss sich nicht mit der „Rechtfertigung von Nachteilen“ in seiner Ziffer 4 quälen.
- Die Gehälter der AT’ler sollten in einer Betriebsvereinbarung geregelt sein, mindestens die Gehaltsbänder hierzu. Nur so hat der Betriebsrat einen genaueren Auskunftsanspruch aus § 99 BetrVG (und nicht nur aus § 80 Abs. 2 BetrVG) über die konkrete Gehaltshöhe bei jeder Einstellung und jeder Versetzung. Ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht steht ihm hierfür aus § 87 Abs. 1 Ziffer 10 BetrVG zur Seite.
- Betriebsräte achten darauf, dass Arbeitgeber – sollte eine einvernehmliche Lösung nicht gelingen – ursprünglich unvollständige Anhörungen nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu Versetzungen nicht einfach nachträglich vervollständigen, um sie zu „heilen“. Die ursprüngliche Versetzung muss erst beendet werden, anschließend muss der Arbeitgeber erneut den Betriebsrat ein zweites Mal zur Versetzung anhören und erst nach Ablauf der Wochenfrist darf der Arbeitgeber erneut versetzen.
- Betriebsräte sollten Arbeitnehmer über ihre arbeitsvertraglichen Rechte und Ansprüche aufklären, die sich aus der individualrechtlichen Unwirksamkeit der Versetzung ergeben. Auch Folgen der Versetzung sind hiervon erfasst.
LAG Niedersachsen (2. Kammer), Beschluss vom 08.05.2024 – 2 TaBV 81/23
Dr. Daniel Wall
Fachanwalt für Arbeitsrecht