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Virtuelle Betriebsratssitzungen

Seit dem Wegfallen des § 129 BetrVG ist die Rechtslage über die Durchführung von virtuellen Betriebsratssitzungen uneinheitlich und unübersichtlich. Es werden verschiedenste Auffassungen in der Rechtsprechung und Literatur über die Anforderungen vertreten, welche der neue § 30 Abs. 2 BetrVG an die Durchführung von Videoverhandlungen stellt. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 07. Dezember 2023 – Az. 2 TaBV 31/23 – markiert einen weiteren Schritt in der rechtlichen Auseinandersetzung um die technische Ausstattung und die Arbeitsweise von Betriebsräten im digitalen Zeitalter.

 

Der Sachverhalt

Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin stritten über die Frage, ob die Arbeitgeberin verpflichtet ist, dem Betriebsrat für audiovisuelle Betriebsratssitzungen drei Tablets oder Notebooks zur Verfügung zu stellen. Die Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Unternehmen im Textileinzelhandel mit zahlreichen Filialen in Deutschland. Der Betriebsrat besteht aus einem dreiköpfigen Gremium. Im Betriebsratsbüro steht ein stationärer PC mit Internetanschluss, Microsoft-Lizenz, Drucker und Telefon. Kamera, Mikrofon und Lautsprecher sind nicht vorhanden.

Der Betriebsrat beschloss eine Änderung seiner Geschäftsordnung. Dessen Ziffer 3 a), welcher den Vorrang der Präsenzsitzung aus § 30 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG regelt, lautet:

„Ausnahme vom Grundsatz der Präsenzsitzung,
wenn a.) schneller Beschluss erforderlich: Die Betriebsratsvorsitzende darf ausnahmsweise zu einer virtuellen Sitzung einladen, wenn für eine Beschlussfassung kurze Fristen zu wahren sind und eine schnelle Beschlussfassung erforderlich ist, die in der regelmäßigen Sitzung nicht (mehr) möglich ist (z.B.: Anhörungen im Rahmen personeller Einzelmaßnahmen; PEP-Änderungen; usw.).“

In § 3 Ziffer 3 b) der Geschäftsordnung wird die Ausnahme im Weiterem bezüglich des Aufkommens von pandemischen Lagen geregelt und in Ziffer 3 c), dass Präsenzsitzungen gegenüber virtuellen Sitzungen zwingend überwiegen müssen.

Die Arbeitgeberin verweigerte dem Betriebsrat die Ausstattung mit Hardware für virtuelle Sitzungen.

 

Die Entscheidung

Das LAG München gab dem Antrag statt.

Zunächst tätigt das LAG München mehrere entscheidende Aussagen zur virtuellen Betriebsratssitzung:

1. Es stellt klar, dass der Arbeitgeber aus § 40 BetrVG verpflichtet ist, Sachmittel zur Durchführung virtueller Sitzungen zur Verfügung zu  stellen, wenn eine wirksame Geschäftsordnung besteht. Eine solche muss virtuelle Verhandlungen in Form von Telefon- und Videokonferenzen vorsehen.

 

2. Ob und inwieweit die Möglichkeit der Video- und Telefonkonferenz genutzt wird, soll zudem in der alleinigen Entscheidungsbefugnis des Betriebsrates stehen. Das Gericht betont hierbei, nach der Gesetzesbegründung solle mit § 30 Abs. 2 BetrVG eine für die Betriebsratsarbeit sachgerechte und dauerhafte Regelung geschaffen werden, die zugleich einen wesentlichen Beitrag zur Digitalisierung der Betriebsratsarbeit leiste.

 

3. Der Betriebsrat muss sich hierbei auch nicht auf Telefonkonferenzen verweisen lassen. § 30 Abs. 2 BetrVG lässt gerade Videokonferenzen ausdrücklich zu. Wenn der Betriebsrat aufgrund der allseitigen Seh- und Hörbarkeit bei Videokonferenzen diese gegenüber Telefonkonferenzen bevorzugt, bewegt er sich im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums.

 

4. Für die Durchführung virtueller Betriebsratssitzungen im Einklang mit einer wirksamen Regelung in der Geschäftsordnung sind Betriebsratsmitglieder von ihrer Verpflichtung befreit, die Betriebsratstätigkeit grundsätzlich am Sitz des Betriebes erbringen zu müssen.

 

Praktische Bedeutung der Entscheidung

Die über den Einzelfall hinausweisende Bedeutung dieser Entscheidung liegt darin, dass das Gericht nebenbei (obiter dictum) die näheren Anforderungen definiert, die eine Geschäftsführung zur Durchführung virtueller Betriebsratssitzungen erfüllen muss.

Das LAG München billigt den lediglich abstrakt beschriebenen Vorrang von Präsenzsitzungen in der Geschäftsordnung. Dies haben andere Gerichte bereits unterschiedlich entschieden. Es billigt dabei ausdrücklich die Regelung in § 3 Ziffer 3 a) der Geschäftsordnung als hinreichende Regelung.

Weiterhin errichtet das LAG München zur Voraussetzung, die Geschäftsordnung dürfe sich nicht darin erschöpfen, die Entscheidung über das Ob und Wie (teil-)virtueller Betriebsratssitzungen dem Vorsitzenden zu übertragen. Es seien vielmehr in der Geschäftsordnung selbst detaillierte Regelungen erforderlich, welche die Voraussetzungen weitestgehend festlegen. Von einem alleinigen Ermessen des Betriebsratsvorsitzenden dürfe die Durchführungsform nicht abhängen.

Etwas irritierend ist allerdings die Aussage:

„Auch die weiteren Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 sowie Nr. 3 BetrVG sind mit den entsprechenden Regelungen in § 3 Abs. 4 und 5 der Geschäftsordnung in der Fassung vom 25.10.2023 hinreichend sichergestellt.“ (Rn. 86)

Dieser Satz könnte derartig interpretiert werden, dass das LAG davon ausgegangen wäre, die Geschäftsordnung müsste alle Nummern des § 30 Abs. 2 BetrVG umfassend regeln. Es würde dann auch Regelungen zur Gewährleistung der Nichtöffentlichkeit und des Widerspruches gegen die virtuelle Sitzung bedürfen. Dies widerspricht allerdings dem Gesetzestext, welcher allein in § 30 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG für den Vorrang der Präsenzsitzung eine zwingende Regelung in der Geschäftsordnung vorsieht. Zudem ist es konträr zur derzeitigen Rechtsprechung und Literatur.

 

Ausblick

Das Urteil legt im Wesentlichen klare Linien für virtuelle Sitzungen des Betriebsrates fest. Diese gestalten sich wie folgt:

1. Es sind auch kleinen, jedenfalls dreiköpfigen Betriebsratsgremien Tablets und Notebooks als Sachmittel für virtuelle Betriebsratssitzungen zu gewähren, wenn eine wirksame Rechtsgrundlage in der Geschäftsordnung besteht.

2. Es besteht keine Pflicht, Telefonkonferenzen den Vorrang gegenüber Videoübertragungen zu geben.

3. Abstrakte Regelungen zum Vorrang von Präsenzsitzungen in der Geschäftsordnung sind hinreichend.

 

Diffus bleiben Andeutungen des Gerichts dazu, wie konkret die weiteren Anforderungen des § 30 Abs. 2 BetrVG in der Geschäftsordnung ausgestaltet werden müssen. Bis zu einer Entscheidung des BAG ist vorläufig zu empfehlen, neben konkreten Anlässen, die zur Durchführung virtueller Sitzungen berechtigen sollen, auch Regelungen zum Widerspruchsrecht nach § 30 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG und der Nichtöffentlichkeit nach § 30 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG in der Geschäftsordnung aufzunehmen.

 

Daniel Alexander Blotevogel
Rechtsanwalt

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