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LAG Köln – im Widerspruch zum BAG?

Mit dem Urteil vom 12. September 2024 – 6 SLa 76/24 – bereitet das LAG gleich in zwei Fällen seinen Auftritt beim BAG vor, da es bei zwei umstrittenen Rechtsfragen eine klare Position vertritt, die keine einheitliche Meinung widerspiegelt. Es geht davon aus, dass das Unterlassen eines Präventionsverfahrens gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX regelmäßig zu einer unwirksamen Kündigung führt, da dies eine Beweislastumkehr nach § 22 AGG zur Folge hat. Zudem stellt sich das Landesarbeitsgericht gegen die bisherige Rechtsprechung des BAG, die annimmt, dass ein Präventionsverfahren während der Wartezeit von sechs Monaten entbehrlich ist.

Aufgrund der weitreichenden Implikationen der Entscheidung des LAG Köln werden die relevanten Themen auf zwei Beiträge aufgeteilt. Dieser Artikel befasst sich mit der Unwirksamkeit der Kündigung aufgrund eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG sowie der Beweislastumkehr aus § 22 AGG. Der zweite Beitrag, der im nächsten Newsletter erscheint, wird sich mit der Position des LAG Köln gegen die bisherige Rechtsprechung des BAG, wonach ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX in der Wartezeit nicht erforderlich ist, auseinandersetzen.

 

Der Sachverhalt

Der betroffene Arbeitnehmer ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von zunächst 90, später 80. Zum 1. Januar 2023 wurde er als Beschäftigter im Bauhof angestellt. Dies war seine erste Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Während der Einarbeitungsphase von Januar bis April 2023 traten erhebliche Probleme in der Zusammenarbeit auf. Vorgesetzte berichteten, der Arbeitnehmer habe Aufgaben nicht ordnungsgemäß ausgeführt, sei unkonzentriert gewesen und habe Konflikte mit Kollegen verursacht, da er Anweisungen nicht befolgte und im Umgang mit Maschinen unsicher agierte. Diese Probleme führten dazu, dass Kollegen die Zusammenarbeit mit ihm verweigerten. Neben den schlechten Bewertungen gab allerdings auch positive Erfahrungsberichte.

Am 22. Juni 2023 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis während der Wartezeit, ohne ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Diese Kündigung wurde der Schwerbehindertenvertretung und dem Personalrat mitgeteilt, welche keine Einwände vortrugen. Der Arbeitnehmer erhob daraufhin Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Köln, wo ihm zunächst Recht gegeben wurde. Gegen dieses Urteil legte die Arbeitgeberin Berufung ein.

 

Die Entscheidung

Das LAG Köln gab der Berufung der Arbeitgeberin letztlich statt und bestätigte die Kündigung. Dabei betrat das Gericht jedoch zunächst neue arbeitnehmerfreundliche Pfade. Bei der Prüfung, ob die Kündigung gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG in Verbindung mit § 134 BGB verstößt, nahm das LAG Köln die Beweislastumkehr nach § 22 AGG an. Dies wurde mit der fehlenden Durchführung des Präventionsverfahrens gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX begründet.

Das Gericht stellte klar, dass das bloße Unterlassen des Präventionsverfahrens keine Benachteiligung gemäß § 164 Abs. 2 SGB IX oder § 3 Abs. 1 AGG darstelle. Das Präventionsverfahren sei keine „positive Maßnahme“ zugunsten schwerbehinderter Menschen im Sinne von § 5 AGG oder Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG. Dennoch könne die Nichtdurchführung des Präventionsverfahrens den Verdacht einer Benachteiligung begründen und zu einer Beweislastumkehr nach § 22 AGG führen. Dies gelte auch im Fall einer Probezeitkündigung. In solchen Fällen müsse der Arbeitgeber beweisen, dass die Kündigung nicht aufgrund der Behinderung erfolgte, sondern aus anderen Gründen.

Nachdem das LAG Köln die Beweislastumkehr festgestellt hatte, kam es jedoch zu dem Ergebnis, dass die Arbeitgeberin den Beweis der diskriminierungsfreien Kündigung erbracht habe. Das Gericht entwickelte dabei den Begriff des „dynamischen Maßstabs zur Widerlegung der Diskriminierungsvermutung“. Dieser Maßstab erleichtert dem Arbeitgeber die Beweispflicht, insbesondere in Fällen, in denen das Präventionsverfahren während der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG nicht durchgeführt wurde.

Das LAG Köln berücksichtigte bei seiner Entscheidung insbesondere zwei Aspekte: Zum einen, ob die Arbeitgeberin bei der Einstellung von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers wusste und zum anderen, ob die Kündigung aus anderen Gründen als den krankheitsbedingten Einschränkungen aufgrund der Behinderung erfolgte. Beide Aspekte stärken nach Auffassung des LAG Köln die Beweisposition der Arbeitgeberin.

Das Gericht führte weiter aus, dass der Kläger während der Wartezeit die Anforderungen an seine Position nicht erfüllte. Dies betraf insbesondere das Befolgen von Weisungen, den Umgang mit Maschinen und die Vermeidung von Gefährdungen. Auch seine Team- und Kommunikationsfähigkeit seien hauptsächlich negativ bewertet worden. Die Einschätzungen der Vorgesetzten, die in Vermerken festgehalten wurden, zeigten, dass der Kläger sich nicht ausreichend ins Team integrierte und seine Aufgaben nicht zufriedenstellend erledigte. Obwohl einige Vermerke ein freundliches Verhalten des Klägers erwähnten, überwogen schlussendlich die negativen Beurteilungen, die zur Kündigungsempfehlung führten. Dies reichte nach Auffassung des LAG Köln, dass die Arbeitgeberin ihrer Beweispflicht nachkam.

 

Ausblick

Abschließend lassen sich aus Sicht des LAG Köln zwei wesentliche Punkte für die oben aufgeworfene Frage hinsichtlich eines möglichen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot bei einer Kündigung ohne Präventionsverfahren während der Wartezeit festhalten:

1. Die unterlassene Durchführung des Präventionsverfahrens nach § 167 Abs. 1 SGB IX führt zu einer Beweislastumkehr nach § 22 AGG.

2. Anstelle der Annahme, dass während der Wartezeit kein Präventionsverfahren erforderlich ist, soll ein erleichterter Beweismaßstab für das Fehlen einer Diskriminierung bei der Kündigung gelten.

Warum das LAG Köln ein Präventionsverfahren auch in der Wartezeit fordert – und dem BAG damit widerspricht – wird ausführlicher in der nächsten Ausgabe unseres Newsletters beleuchtet werden.

 

Daniel Alexander Blotevogel
Rechtsanwalt

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